DIE TÜRKENBUNDLILIE:

EINE PFLANZE ÜBERFORDERT EINEN LOKALREDAKTEUR

 

Bremsen „Türkenbundlilien" die Wandsicherung?
CDU-Frauen und Ortsunion nahmen das Rissegelände unter die Lupe /
Entkrampfter Umgang mit brisantem Thema beim Ortstermin

WARSTEIN. (vo) - Die CDU Ortsunion hat sich gemeinsam mit der CDU Frauenunion auf den Weg ins RisseGelände begeben, um zu sehen, wann Warsteins neue Geschäfte eröffnen.
Doch Risses Bergingenieur Peter Dolch, der wie schon so oft durchs Gelände führte, konnte wieder einmal mehr nur die Dinge nennen wie sie sind. Zum Beispiel auf die Frage antworten, wann es denn weiter geht mit dem Bau des neuen Einkaufszentrums. „Wenn sie mir die Baugenehmigung geben, sofort", erklärte Dolch zur Erheiterung aller. Überhaupt sah die Belecker CDU das Thema erfreulich entkrampfter als die betroffenen Warsteiner. Selbst für die „seltene Türkenbundlilie" die im Oberhagen wächst, jener Stelle die einer Wandsicherung weichen soll, gebe es eine Lösung: ,,Die habe ich im Garten". Die Türkenbundlilie - die unter anderem die Initiative Oberhagen ins Spiel bringt - ist von Europa bis in die Volksrepublik China weit verbreitet. Sie gilt als eine der robusteren, toleranteren Lilienarten, bevorzugt aber gut drainierte, leicht kalkhaltige Standorte in halbschattiger Lage. Die Pflanze ist bis auf eine Höhe von 2000 Metern NN anzutreffen. Sie ist in den Alpen und im südlichen Mitteleuropa in Laubwäldern und LaubNadel-Mischwäldern auf basenreichem Grundgestein ziemlich verbreitet. Fünf Prozent des Oberhagens muss für die Wandsicherung abgetragen werden, versichert Dolch. Unten zehn, oben 30 Meter. Macht anderthalb Jahre Verzögerung.
Danach werde die Wand grüner als sie jetzt ist. Die Wandsicherung wird nötig, da nach den Plänen die Bahnschienen und die neue Trasse der. B55n dicht an den Berg gelegt werden soll, um später durch den ersten Tunnel geführt zu werden.
Die CDU-Belecke möchte, da es beim Ortstermin regnete, noch zu einem weiteren Termin laden. Dann im geschlossenen Raum, um dort noch einmal die gesamte Problematik zu erläutern.

Einblicke ins Rissegelände bekamen die CDU-Frauen
und die Ortsunion bei einem Termin vor Ort.
Bergingenieur Peter Dolch führte die Gäste.
Foto: FriedrichVorsthoven

(Westfalenpost/Westfälische Rundschau vom 3. Juni 2006)

Linie

Wie lächerlich will man sich eigentlich noch machen?

Friedrich Vorsthofen berichtet über eine Veranstaltung, auf der ganz offensichtlich keine Gelegenheit ausgelassen wurde, sich über gesetzlich geregelten Naturschutz lustig zu machen.
Wie üblich beginnt es damit, dass falsche Zahlen verbreitet werden: 30 Meter tief reiche der Felsabtrag und 5% der Oberhagen-Fläche würden zerstört. Klingt ganz beschaulich - Kleinigkeiten. Aber der Abtrag an der Oberkante ist schon auf den Plänen bis zu 35 Metern tief, wie weit würde man erst abbauen, wenn es tatsächlich dazu käme? Das Naturschutzgebiet Oberhagen ist nach der neuen Schutzgebiets-Verordnung ca. 130.000 qm groß. Geplant ist die Vernichtung von 10.500 qm Naturschutz-Fläche (ca. 6.500 qm Wald, ca. 4.000 qm Grundfläche der Felswand). Nach meiner Rechnung sind das 8% - aber wir sollen uns wahrscheinlich schon einmal daran gewöhnen, dass man im Zusammenhang mit dieser Baumaßnahme nicht kleinlich sein darf.
Rundschau-Redakteur Vorsthofen (oder sollte es gar Bergingenieur P. Dolch gewesen sein?) referiert auch überaus kundig über die weite Verbreitung der in ironisierende Anführungszeichen gesetzten „seltenen Türkenbundlilie“. Fast könnte man den Eindruck gewinnen, hier spreche jemand mit Hintergrundwissen. Aber irgendwie kam mir der abgedruckte Text merkwürdig bekannt vor. Wer in der bekannten Online-Enzyklopädie Wikipedia unter dem Stichwort „Türkenbundlilie“ sucht, bekommt exakt den Text auf den Bildschirm, der am Samstag in der Zeitung stand:

„Die Türkenbundlilie ist von Europa bis in die Volksrepublik China weitverbreitet. Sie gilt als eine der robusteren, toleranteren Lilienarten, bevorzugt aber gut drainierte, leicht kalkhaltige Standorte in halbschattiger Lage. Die Pflanze ist bis auf eine Höhe von 2000 Meter NN anzutreffen. Sie ist in den Alpen und im südlichen Mitteleuropa in Laubwäldern und Laub-Nadel-Mischwäldern auf basenreichem Grundgestein ziemlich verbreitet und stellenweise häufig, kommt aber nur selten - vor allem an Waldrändern - zur Blüte.“

Ist ja an sich nicht ehrenrührig, wenn es nicht ein so sehr verkrampfter Versuch wäre, die Türkenbundlilie als ´robustes Gewächs´ (kann man also problemlos verpflanzen) und als ´weit verbreitet´ (kommt auf ein paar hundert Exemplare in Warstein nicht an) darzustellen.
Eine Frage an die Herren Dolch und das willfährige Sprachrohr Vorsthofen: Wo, abgesehen vom Oberhagen, findet sich in unserer Umgebung der nächste Standort der Türkenbundlilie? Ist sie vielleicht doch nicht so Unkraut-artig verbreitet? Im Standard-Werk „Die Flora Westfalens“ von Fritz Runge heißt es zur Verbreitung der Türkenbundlilie: „Die Türkenbundlilie erreicht in Westfalen die Nordwestgrenze ihres Gesamtverbreitungsgebiets.“ Diese Nordwestgrenze ist der Oberhagen! Weiter: „Sehr zerstreut im südöstlichsten Westfalen.“ Was nichts anderes heißt als: sehr selten. Auch im viel benutzten Standard "Was blüht denn da?" ist zu lesen: "Fehlt im Tiefland und im Bergland mit kalkarmem Gestein; sonst selten."
Und wenn man schon aus der Wikipedia zitiert (ohne Quellenhinweis), dann doch vielleicht auch die folgenden Zeilen:

„Die Türkenbundlilie ist, neben der Feuerlilie und der Madonnenlilie, eine der drei "klassischen", in Mitteleuropa vorkommenden Lilien. Wegen ihrer Farbvielfalt und Robustheit ist sie auch heute noch eine beliebte Gartenpflanze. Die Alchimisten glaubten, mit Hilfe der Goldwurz unedles Metall in Gold umwandeln zu können. Die Türkenbundlilie wird in der Volksheilkunde gegen Hämorrhoiden gebraucht. Die Wildpflanze steht unter Naturschutz.“

Wenn sich diese Pflanze also im Garten des Herrn Dolch befindet mag das vielleicht in den angeführten abergläubigen und volksmedizinischen Hintergründen ihre Ursache haben – über den Wert eines großen Vorkommens einer geschützten Pflanze an ihrem natürlichen Standort sagt das nichts aus.
Bei Versandgärtner Pötschke bekommt man eine Türkenbundlilie für 3,95 Euro, aber dort kann man auch Edelweiß (zu 5,95 Euro pro Stück) bestellen. Nach der Logik des Presse-Artikels können wir damit auch das Edelweiß von der Liste der geschützten Arten streichen.

Gärtner Pötschke weiß, was die Herren Dolch und Vorsthofen nicht wissen: Die Blüten der Türkenbundlilie "haben sich rar gemacht in der Natur" - "rar" ist ein Wort, das in etwa so viel bedeutet wie "selten".

Der Artikel, die darin enthaltenen Aussagen und Falsch-Aussagen machen deutlich: Wer so verkrampft unverkrampft und so angestrengt lustig ist, der weiß, dass er in Wirklichkeit nichts zu lachen hat. Insgesamt wird man den Eindruck nicht mehr los, dass es sich hier um ein verzweifeltes letztes Aufbäumen handelt, da man auf anderer Ebene längst verloren hat.

Um das zum Schluß zu betonen: Es geht nicht nur um eine einzelne Pflanzenart. Der Oberhagen ist in seiner Gesamtheit ein einmaliges Zeugnis für Natur und Geschichte des Warsteiner Raumes. Jedem heimatverbundenen Menschen blutet das Herz bei dem Gedanken an eine so rücksichtslose Zerstörungsorgie – und ich kenne eine ganze Reihe heimatverbundener Menschen in der CDU, denen es genauso geht.

Stefan Enste

 

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